Stadion

Warum nervt mich Profifussball eigentlich noch nicht?

Seit Jahren merke ich bei mir eine schleichende Loslösung vom Profifußball und seinen Begleitumständen. Wobei „Loslösung“ eigentlich nicht der richtige Begriff ist. Der Profifußball ist oft nur noch nervig, unsympathisch, abgehoben und abschreckend.
Und doch halte ich meinem Verein und der Bundesliga die Treue. Warum eigentlich?

Betrachtet man DFB, UEFA und FIFA, so wirken die Verbände auf mich oftmals nur noch korrupt, unmoralisch, mitunter kriminell, und stets gewinnorientiert. Und die Vorgenannten nehmen sich in der desaströsen Außendarstellung wirklich nicht mehr viel. Und der Alltagsbetrieb in den Wettbewerben bietet mir ständig neue Facetten, die mich ärgern.

Richtig neu ist das alles nicht, aber inzwischen fühle ich mich von der Welle der abschreckenden Auswirkungen überrollt. Und doch halte ich meinem Verein und der Bundesliga die Treue. Da sitze ich nun und staune über mich selbst. Und oft habe ich den Eindruck, dass es nicht nur mir so geht. Nur warum?

Traditionen übernommen und die Gegenwart ausgeblendet

Die Popularität des Fußballs stammt aus einer Zeit, als Fußballspieler noch an einem Ort wohnten, arbeiteten und eben Fußball spielten. Alle unsere heutigen Vorstellungen von Tradition, Vereinstreue und Identifikation rühren aus dieser Zeit. Bis heute. Das ist ungewöhnlich, denn aus dem Freizeitsport von damals ist durch die Proficlubs schon vor Jahrzehnten eine Unterhaltungsindustrie im Sportbereich geworden. Hier nennt man die Kunden lieber Fans.

Klingt das zu hart und zu ehrlich? Im Amateursport und auf dem Bolzplatz stimmt das sicherlich nicht, im Profisport schon. Ich gebe allerdings zu, dass ich das gerne verdränge.

Ich kann keinen Zeitpunkt nennen, zu dem es kippte. Die Ablösesummen generierten Beträge, die sich schon lange weit jenseits meines persönlichen Alltags befanden. Und jenseits dessen, was ich für angemessen halte. Ich kann auch keine Spieler benennen, deren selbstdarstellerische Art den Wendepunkt zu schlechteren Zeiten markierten. Das Gesamtpaket war gekippt. Irgendwann.

Ein Überangebot an Plastikclubs, Geld und Fußball

Es soll Zeiten gegeben haben, da freuten sich die Fans auf den Samstag, weil man 7 Tage warten musste, ehe es um 15:30 Uhr den nächsten Spieltag gab. Das ist lange vorbei. Spieltage sind über Tage und Anstosszeiten gestreckt, damit das Bezahlfernsehen viele Übertragungen zeigen kann und sich die hohe Investitionen in die TV-Gelder ausbezahlen. So bestimmt der TV-Vertrag den Sport und nicht mehr der Fan.

Ganz schuldlos an der Angelegenheit sind aber auch die Fans nicht. Die TV-Abonnements der Fans machen das Konstrukt erst möglich und wenn der Fan lieber am Fernseher sitzt, als im Stadion, könnte sich das auch mal als Problem entpuppen. Die teilweise unsäglichen Spielansetzungen an Freitagen oder Montagen brachten bisher zu wenig Schaden, um deutlichere Wirkung zu erbringen ( trotz angekündigter Absetzung der Montagsspiele). Am Ende werden nur leere Stadien für Fans eine Möglichkeit sein, um Einfluss auf Vereine und Verbände zu nehmen. Denn die Popularität des Sports (die Geldquelle) setzt auf Bilder und Stimmung. Doch hierzu fehlt es den Fans aber noch zu oft an Mut, Willen und Organisation. Und so dreht sich das Rad weiter. Ich bleibe dabei: Es wird sich erst etwas ändern, wenn die Stadien leer werden.

Die Seele verkauft

Der Verkauf von Namensrechten an Stadien führte nicht nur zu teilweise lachhaften Stadionnamen (wer erinnert sich nicht an das Playmobil-Stadion?), bisweilen verkauften Clubs damit auch einen großen Teil an Authentizität und Tradition. Klingt das noch zu gewöhnlich? Bei einem Testspiel zwischen Arsenal London und Paris Saint-Germain wurde zur Seitenwahl eine Kreditkarte geworfen, weil das Turnier von einem Kreditkartenherausgeber gesponsert wurde. Ohne Worte.

Sponsoring und Plastik sind gute Stichwortgeber. Mit Leverkusen (Bayer), Wolfsburg (Volkswagen), Hoffenheim (Hopp/SAP) und Leipzig (Red Bull) tummeln sich Vereine in der Bundesliga, bei denen faktisch die Unternehmen oder Unternehmensvertreter das Sagen haben bzw. die finanzielle Existenz garantieren. Der Grundgedanke der 50+1-Regelung will eigentlich genau das verhindern, aber DFB bzw. DFL stellen sich blind. Red Bull agiert inzwischen als international tätiger Fußballkonzern und benachteiligt dadurch die anderen Clubs der jeweiligen Ligen, geändert hat sich hierdurch aber nichts. Die Offensichtlichkeit mit der das gemacht wird verschlägt mir die Sprache und sie vertreibt mich als Fan. Denn sie benachteiligt meinen Herzensclub und generiert Spiele, die kein Mensch sehen will. Da schaue ich ob der Tradition lieber Rot-Weiss Essen, den 1.FC Kaiserslautern, den 1.FC Magdeburg oder den SV Meppen.

Alles Legionäre

Es ist lange her, da spielten Berliner Spieler eines Berliner Clubs gegen Münchner Spieler aus München. Ja, eine vergangene Zeit und mir ist klar, dass diese Zeiten vermutlich schon seit 50 Jahren vorbei sind. Heute spielt eine internationale Auswahl gegen eine andere internationale Auswahl. In Kombination mit der ständigen Wechselwilligkeit der Spieler führt das bei den Fans bisweilen zu unerwarteten Reaktionen:

„Ihr seid alles Legionäre!“

„Am Ende zählt nur der Verein, Spieler und Funktionäre können alle gehen.“

„Ich gucke nur noch Amateure, die sind wenigstens echt.“

Am Ende reduziert man alles auf den Verein, weil niemand mehr übrig ist, mit dem man sich identifizieren kann. Das ist schon eigen, aber was soll man machen, wenn Spieler die Vereine wechseln, wie andere das Leasing-Auto? Bei der vielen Phrasendrescherei von Spielern ist man sich manchmal auch nicht mehr sicher, was schlimmer ist: Sind es die Phrasen der Spieler oder die Fans, die die Wahrheit nicht hören wollen? Schwierig, muss jeder für sich selbst beantworten.

Deutscher Meister? Langweilig!

Höhepunkt (und Hauptzweck) der Bundesliga ist die jährliche Krönung des Bundesligameisters. Ich habe häufig gelesen, dass die Bundesliga in dieser Hinsicht so spannend ist, wie schon lange nicht mehr, weil Bayern und Dortmund um die Meisterschaft kämpfen.

Okay, schauen wir in die Geschichtsbücher: 17 der letzten 20 Meisterschaften haben Dortmund und die Bayern unter sich aufgeteilt. Und 2018/2019 ist das wieder so.

Na, wie spannend! Wie abwechslungsreich!

Schaut man ab 1997/1998 die letzten 20 Jahre zurück, holten beide Clubs „nur“ 11 von 20 Meisterschaften. Ich finde es armselig und ziemlich eigenwillig, dass eine Meisterschaft schon als spannend bezeichnend wird, wenn immer die gleichen Teams Meister werden und frage mich, welche Wertschätzung sich daraus für die 16 anderen Vereine interpretieren lässt. Ich ahne nichts Gutes.

Ablösesummen und K.O.-Runden

222.000.000,- € für Neymar? Ist das nicht der Spieler, die immer schlimmste Verletzungen vortäuscht? Nicht mehr meine Realität. Mehr brauche ich zu dem Thema wirklich nicht mehr schreiben.

Die Gruppenspiele in der CL oder EL interessieren mich im Prinzip nicht. Sie sind Konstrukte der UEFA, um mehr Spiele zu generieren und sie nehmen dem Wettbewerb die Spannung, für die er mal stand. In Kombination mit der Ausstrahlung im Bezahlfernsehen führt dies bei mir nur dazu, dass ich die Spiele nicht mehr sehe und auch nicht mehr sehen möchte. Das Überangebot an Fußballspielen kann nicht konstruktiv sein. Und es nervt.

Mein Verein zählt

Ich könnte noch zig weitere Aspekte aufzählen. Die Fußballspieler, die sich bisweilen wie abgehobene Millionärssöhne benehmen. Oder die Fußballtrikots, die gerne mal an die 100 Euro kosten, obwohl sie in der Dritten Welt für wenige Euros hergestellt werden. Die Art der WM-Vergabe der FIFA, die Explosion der Teilnehmerländer bei Weltmeisterschaften, die Schaffung weiterer überflüssiger Wettbewerbe. Und so weiter. Und so weiter. Es macht keinen Spaß.

Und doch

Und doch bin ich Mitglied bei Hertha BSC geworden, weil ich seit Kindheitstagen von der Stimmung im Berliner Olympiastadion fasziniert war und bin. Ich bin damals mit meinem Papa zum Stadion gegangen, wie vor mir schon viele Fans mit Ihrem Papa zum Fußball gegangen sind und habe gelitten, als der Verein wiederholt aus der 1.Bundesliga abgestiegen ist.

Es ist die Bindung an den eigenen Verein, die mich hält, auch wenn die Welt der Fußballprofis mir ferner denn je ist. Es ist das Stadionerlebnis, was in der Gruppe und in der Gemeinschaft vieles ersetzt, was ich am Fußball eigentlich vermisse.

Ich bin Fan von Hertha BSC. Und dies nicht wegen des Fußballspiels der Mannschaft, sondern trotz (im Moment gilt das besonders). Es ist ein Ausdruck von Heimatverbundenheit und ich verbinde viele Erinnerungen damit.

Es ist aber auch ein schmaler Grad geworden, denn ich entziehe mich inzwischen vielen Dingen, die mir früher gefallen haben. Ich entziehe mich den europäischen Wettbewerben, der Nationalmannschaft, sehe Weltmeisterschaftsspiele nur noch reduziert und schaue die Plastikmannschaften der Bundesliga praktisch nicht mehr. Und ich ahne, dass die Zukunft vermutlich nicht fanfreundlicher wird. Oder kundenfreundlicher. Mal sehen, wie dieser Kampf zwischen Verstand und Emotion endet.

Logisch habe ich bisher jedenfalls nicht gehandelt. Und das ist wohl schon die Antwort.